B Ein Plädoyer gegen Entschuldigungen
Abstract
Wer „sich bei jemandem entschuldigt“, der bittet ihn um Verzeihung. Dieser Bitte kann durch Gewährung der Verzeihung entsprochen werden, und sie kann durch Nichtgewährung der Verzeihung abgelehnt werden. In diesem Beitrag wird nach dem normativen Status des Bittens umVerzeihung gefragt: Was, wenn überhaupt etwas, gibt uns das Recht, das Opfer eines von uns begangenen Unrechts um Verzeihung zu bitten? Nach einigen begrifflichen Klärungen wird ein Paradox offengelegt, das dem Bitten um Verzeihung inhärent ist. Wer um Verzeihung bittet, tut dies in einem Geist der Demut: Wenn der Täter seine Schuld anerkennt, wird er die gegen ihn gerichteten negativen Gefühle des Opfers als angemessen und gerechtfertigt ansehen. Indem er aber um Verzeihung bittet, versucht er, diese gegen ihn gerichteten negativen Gefühle zu ändern. Indem also der Täter um Verzeihung bittet, versucht er, einen Zustand herbeizuführen, den herbeiführen zu wollen er keinen Grund hat, wenn er aufrichtig reuig ist. Im Folgenden werden verschiedene Versuche, dieses Paradox aufzulösen, untersucht. Sie beruhen auf der Angabe von Gründen für das Bitten um Verzeihung, die unabhängig von dem Versuch sind, die negativen Gefühle des Opfers zu ändern. Vier in der einschlägigen Literatur unterbreitete Vorschläge werden diskutiert, nämlich 1) dass der Täter dem Opfer, indem er um Verzeihung bittet, seine Reue signalisieren will, 2) dass der Täter seine Selbstachtung wiedererlangen möchte, 3) dass der Täter seinen moralischen Status wiedererlangen möchte, 4) dass er eine Trennung zwischen sich als Person und der von ihm begangenen Tat deutlich machen möchte. Keiner dieser Vorschläge ist jedoch überzeugend, und die Versuche, das Paradox des Bittens um Verzeihung aufzulösen, scheitern. Ein Täter, der seine eigene Schuld anerkennt und sich aufrichtig dem Urteil des Opfers unterwirft, hat häufig keinen rationalen Grund, um Verzeihung zu bitten. In vielen Fällen ist der Verzicht auf das Bitten um Verzeihung ein Zeichen dafür, dass man Schuld ernst nimmt.
Schlagworte
Entschuldigung; Verzeihung; Entschuldigen; Reue
Volltext:
PDF (English)Literaturhinweise
Allais L., Wiping the slate clean: the heart of forgiveness, “Philosophy and Public Affairs” 2008, Vol. 36, pp. 33–68.
Bovens L., Apologies, “Proceedings of the Aristotelian Society” 2008, Vol. 108, pp. 219–239.
Bovens L., Must I be forgiven?, “Analysis” 2009, Vol. 69, pp. 227–233.
Davis P., On Apologies, “Journal of Applied Philosophy” 2002, Vol. 19, 2002, pp. 169–173.
Griswold C. L., Forgiveness – a Philosophical Exploration, Cambridge University Press, Cambridge 2007.
Murphy J. G., Getting Even. Forgiveness and Its Limits, Oxford University Press, Oxford 2003.
Ohly F., The Damned and the Elect. Guilt in Western Culture, Cambridge University Press, Cambridge 1976.
DOI: http://dx.doi.org/10.17951/kw.2014.12.75
Date of publication: 2015-05-27 11:00:19
Date of submission: 2015-05-27 10:06:23
Statistiken
Sichtbarkeit von Abstracts - 1494
Downloads (from 2020-06-17) - PDF (English) - 0
Indikatoren
Refbacks
- Im Moment gibt es keine Refbacks
Copyright (c) 2015 Oliver Hallich
Lizenz-URL: http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.pl